erstellt am 19. November 2001 um 18:52 Uhr
oskar loerkeDionysische Überwachtheit
Die Seele braust mir, mit Geistern des Weins und der Liebe beladen,
Und Halbgestalten entsteigen dem Finger, dem Ohr und dem Haar.
Schon bricht in die Welt der Morgen mit wehend blauenden Schwaden,
So gottüberwacht wie ich, wie ich so schwerelos klar.
Verwandelt die Wege und ohne Schicksal ich, der sie beschreitet!
Doch in der Ferne graut Schicksal wie Kontinente so groß,
Gleich purpurnem Nebel steigend! Und alles für mich nur bereitet:
Ein Kleines, so bricht Überschwang wie Bitternis los.
Wo reiche ich hin? Wer hat mich mit Süße und Graun so begnadet?
O, ist nicht, als würde die Erde vom gleichen Rhythmus gepackt,
Die steinige, blühende Riesin, in blauen Dämpfen gebadet,
Und höbe sich nach! immer nach! der füße magnetischem Takt?
Und niederwärts weckt der Schall meines Ganges mit Geschluchz ihre Särge.
Die magern Bäume im Wind singen wie Cherubim.
Und es steigen auf fernsten Inseln feuerspeiende Berge,
Ich sehe sie strömen den Rauchbaum, und Götter wohnen in ihm.
Wo reiche ich hin? Wohin? Die fliegenden Sterne streichen
Auf meiner ergossenen Seele noch hin und tasten sie an,
Wie Flügelwesen die Haut mir erschrecken, und brennen Zeichen
Mir ein, die sterblich mich machen und die ich nicht auslöschen kann.
O, wüßt ich nur, Riesin Erde, an dich die abwendende Frage,
Die du unter mir zitterst wie eine Bärin am Seil.
Schon liegt deine Tatze in mir mit unsichtbar würgendem Schlage,
Schon wurde dir wieder der Mensch, die kleine Beute, zuteil.
[Dieser Beitrag wurde von beteigeuze am 30. Dezember 2001 editiert.]